Alternatives Sitzzuteilungsverfahren – Quotenverfahren mit prozentualem Restausgleich

Im Sitzzuteilungsverfahren nach Sainte-Laguë kommt es bei Abwesenheit einer formellen Sperrklausel häufig zu größeren Verzerrungen zu Gunsten von Kleinstparteien, wenn der Idealanspruch von wenig mehr als einem halben Sitz auf einen ganzen Sitz aufgerundet wird. Daraus resultiert in diesen Fällen eine bis zu doppelt so hohe Abweichung des Erfolgswerts der Stimmen vom Durchschnittswert. Im Folgenden wird deshalb ein Sitzzuteilungsverfahren vorgeschlagen, das diese Fälle minimiert, gleichzeitig aber eine zu einseitige Bevorzugung größerer Parteien vermeidet, wie es beispielsweise bei dem Sitzzuteilungsverfahren nach D’Hondt der Fall ist.

Von Simon Rock

I. Einleitung

    Bei Abwesenheit einer formellen Sperrklausel kann je nach gewähltem Sitzzuteilungsverfahren der Effekt auftreten, dass Parteien oder Wählergruppen mit einem tatsächlichen Sitzanspruch (Idealanspruch) von wenig mehr als einem halben Sitz tatsächlich einen ganzen Sitz zugeteilt bekommen. Dies bewirkt im Ergebnis in derartigen Fallkonstellationen eine bis zu doppelt so hohe Abweichung des Erfolgswerts der abgegebenen Wählerstimmen vom Durchschnittswert.

    Ein solches Phänomen tritt aufgrund der angewendeten Sitzzuteilungsverfahren nach Sainte-Laguë (Divisorverfahren mit Standardrundung) bzw. Hare/Niemeyer (Quotenverfahren mit Restausgleich nach größten Bruchteilen) auf.[1] Ersteres bewirkt  eine Zuteilung auf den ersten Sitz ab einem Idealanspruch von rund 0,5 Sitzen, während bei dem Verfahren nach Hare/Niemeyer sogar eine Sitzzuteilung bei noch geringerem Sitzanspruch möglich ist.

    Gleichwohl lässt sich mithilfe des Sitzzuteilungsverfahrens ein Weg[2] finden, der dieses Problem weitgehend behebt, ohne eine systematische Bevorzugung größerer Parteien zu bewirken, wie dies bei dem Sitzzuteilungsverfahren nach D‘Hondt (Divisorverfahren mit Abrundung) der Fall ist.

    Bei dem vorgeschlagenen Verfahren handelt sich grundsätzlich um ein Quotenverfahren, so dass sichergestellt ist, dass jeder Partei einerseits mindestens der abgerundete und andererseits höchstens der aufgerundete Idealanspruch zugeteilt wird.[3]

    II. Sitzzuteilung nach gängigem Quotenverfahren

      Grundsätzlich lässt sich der Idealanspruch I einer Partei p wie folgt berechnen:

      Hierbei steht  für die Stimmanzahl der Partei p, G für alle abgegebenen Stimmen und m für die Gremiengröße.

      In den allermeisten Fällen ergibt sich kein ganzzahliger Sitzanspruch. Da aber Bruchteile von Sitzen nicht sinnvollerweise vergeben werden können, muss eine Regelung zur Verteilung der Restsitze gefunden werden.

      Nach dem Verfahren von Hare/Niemeyer werden die Restsitze nach den höchsten Stimmenbruchteilen vergeben. Es wird folglich der absolute Abstand zwischen Idealanspruch I und der tatsächlich vergebenen Sitzanzahl von Partei p minimiert.

      Die Verteilung der Restsitze erfolgt also nach folgendem Verfahren:

      Die Restsitzverteilung  ergibt sich also aus der jeweiligen Differenz zwischen Idealanspruch I und auf die nächste ganze Zahl abgerundeten Idealanspruch [I].

      Dies soll anhand eines Beispiels verdeutlicht werden:

      Für die Wahl eines Gremiums mit m=74 Sitzen treten die acht Parteien a – h an, wobei sich die Stimmverteilung wie folgt darstellt:

      ParteiStimmenRelativer Stimmanteil
      a7480144,2 %
      b4556426,9 %
      c1834110,8 %
      d126717,5 %
      e67304,0 %
      f57393,4 %
      g42442,5 %
      h12420,7 %
      INSGESAMT169332100%

      Dementsprechend errechnen sich die Sitzansprüche wie folgt:

      Ohne Beachtung der Bruchteile werden somit für die Parteien folgende Sitze verteilt:

      ParteiZugeteilte Sitze (ohne Beachtung der Bruchteile)
      a32
      b19
      c8
      d5
      e2
      f2
      g1
      h0
      INSGESAMT69

      Insgesamt werden also zunächst nur 69 von 74 Sitzen verteilt. Die Verteilung der restlichen fünf Sitze erfolgt nach dem Verfahren von Hare-Niemeyer anhand der höchsten (absoluten) Bruchteile, die sich in obigem Beispiel wie folgt bestimmen lassen:

      Die restlichen fünf Sitze gehen an die Parteien mit dem höchsten absoluten Bruchteil. Dies trifft auf die Parteien a, b, e, g und h zu.

      Somit erhält Partei h ein Mandat zugeteilt, obwohl ihr Idealanspruch nur rund einen  halben Sitz beträgt.

      An diesem Beispiel wird anhand von Partei h exemplarisch deutlich, dass das Hare-Niemeyer-Verfahren Kleinstparteien in Hinblick auf den Erfolgswert der Stimmen massiv bevorzugen kann. Auch das Verfahren nach Sainte-Laguë führt regelmäßig dazu, dass eine Partei mit einem Idealanspruch von rund einem halben Sitz ein ganzes Mandat erhält.

      III. Sitzzuteilung nach Quotenverfahren mit prozentualem Restausgleich

        Abhilfe hierzu kann jedoch folgendes alternative Verfahren schaffen, welches die faktische Sperrklausel etwas erhöht:

        Jede Partei erhält zunächst, wie bei dem Verfahren nach Hare-Niemeyer, ihren  abgerundeten Idealanspruch. Allerdings erfolgt die Restsitzvergabe nicht anhand des höchsten Bruchwertes, sondern anhand des höchsten prozentualen Restes im Verhältnis zum jeweils nächsten Mandat.

        Anders formuliert wird folgende Methodik angewandt:

        Die Restsitzverteilung  ergibt sich also in diesem Verfahren aus dem Verhältnis zwischen dem Idealanspruch und des auf die nächste ganze Zahl aufgerundeten Idealanspruchs . Die Parteien mit dem höchsten prozentualen Rest  erhalten dementsprechend die noch zu vergebenden Restsitze.

        Im obigen Beispiel würde sich folgende Konstellation ergeben:

        Diese Berechnung hat zur Folge, dass bezüglich der Verteilung der Restsitze der relative[4] Abstand und nicht mehr der absolute Abstand zwischen Idealanspruch und tatsächlichen Sitzen minimiert wird.

        In diesem Fall würden die fünf Restsitze also an die Parteien a, b, d, e und g verteilt werden. Damit würde die Partei d einen Sitz gewinnen, während die die Partei h im Vergleich zu dem Verfahren nach Hare-Niemeyer ihren Sitz verlieren würde.

        Zusammengefasst stellt sich die Sitzverteilung in diesem Beispiel wie folgt dar, wobei zu Illustrationszwecken auch die Sitzverteilungen mit aufgenommen werden, die sich nach den Verfahren nach D’Hondt bzw. Sainte-Laguë ergeben würden:

        ParteiIdeal-anspruchAbgerundeter Ideal-anspruchHare-NiemeyerAlter-natives VerfahrenSainte-LaguëD‘Hondt
        a32,6893233333234
        b19,9121920202021
        c8,01588888
        d5,53755665
        e2,94123333
        f2,50822222
        g1,85512221
        h0,54301010
        SUMME746974747474

        Alternativ lässt sich dieses Sitzzuteilungsverfahren auch mittels prozentualen Aufrundungsgewinns berechnen. Dieser ergibt sich aus der Division des auf die nächste natürliche Zahl aufgerundeten Idealanspruchs durch den Idealanspruch, das Ganze subtrahiert um 1. Formal ausgedrückt ergibt sich also folgendes:

        Anschließend erhalten die wahlbewerbenden Parteien mit dem geringsten Aufrundungsgewinn die zu verteilenden Restsitze.

        In dem obigen Beispiel ergäben sich für die Parteien folgende Werte:

        Folglich werden auch hier die 5 zu verteilenden Restsitze an die Parteien a, b, d, e und g vergeben.

        Die Verteilung der Restsitze nach größtem prozentualem Rest  kommt hierbei stets zu dem identischen Ergebnis wie die Verteilung nach geringstem prozentualem Aufrundungsgewinn .[5]

        IV. Zusammenfassung

          Durch dieses Verfahren wird im Ergebnis die faktische Sperrklausel etwas erhöht und eine zu große Verzerrung zu Gunsten von Kleinstparteien vermieden, wie dies teilweise bei den Verfahren nach Sainte-Laguë und Hare/Niemeyer der Fall ist. Gleichzeitig wird durch die Erfüllung der Quotenbedingung sichergestellt, dass systematische Verzerrungen des Wahlergebnisses zu Gunsten großer Parteien nicht auftreten können, wie dies beispielweise bei dem Sitzzuteilungsverfahren nach D’Hondt der Fall ist, welches in Deutschland jahrzehntelang angewendet wurde und teilwei


          [1] Zur Kommunalwahl 2009 löste das Sainte-Laguë-Verfahren das Verfahren nach Hare/Niemeyer bei NRW-Kommunalwahlen ab.

          [2] Im ursprünglichen Artikel stand, dass dieser Weg verfassungskonform sei. Aufgrund des Urteils des VerfGH NRW (101/24) wurde das Quotenverfahren mit prozentualem Restausgleich als unvereinbar mit der NRW-Verfassung eingestuft. Der Text ist deshalb an dieser Stelle überarbeitet.

          [3] Dies ist beispielsweise bei dem Verfahren nach D’Hondt nicht sichergestellt.

          [4]Bei der Frage des relativen Abstands muss natürlich der Grenzfall zwischen 0 und 1 Sitz vernachlässigt werden, da Divisionen durch 0 nicht sinnvoll möglich sind. 

          [5] Tatsächlich käme auch eine Verteilung der Restsitze nach der jeweiligen Höchstzahl nach D’Hondt, für Partei A also mit der Höchstzahl 33, bei Partei B mit der Höchstzahl 20, bei Partei C mit der Höchstzahl 9 usw., zu einem identischen Ergebnis der Verteilung der Restsitze.

          Das Verfahren ist inklusive formaler Notifikation auch in folgendem PDF nochmal beschrieben: