Alternatives Sitzzuteilungsverfahren – Quotenverfahren mit prozentualem Restausgleich

Im Sitzzuteilungsverfahren nach Sainte-Laguë kommt es bei Abwesenheit einer formellen Sperrklausel häufig zu größeren Verzerrungen zu Gunsten von Kleinstparteien, wenn der Idealanspruch von wenig mehr als einem halben Sitz auf einen ganzen Sitz aufgerundet wird. Daraus resultiert in diesen Fällen eine bis zu doppelt so hohe Abweichung des Erfolgswerts der Stimmen vom Durchschnittswert. Im Folgenden wird deshalb ein Sitzzuteilungsverfahren vorgeschlagen, dass diese Fälle minimiert, gleichzeitig aber eine zu einseitige Bevorzugung größerer Parteien vermeidet, wie es beispielsweise bei dem Sitzzuteilungsverfahren nach d’Hondt der Fall ist.

  1. Einleitung

Bei Abwesenheit einer formellen Sperrklausel kann je nach gewähltem Sitzzuteilungsverfahren der Effekt auftreten, dass Parteien oder Wählergruppen mit einem tatsächlichen Sitzanspruch (Idealanspruch) von wenig mehr als einem halben Sitz tatsächlich einen ganzen Sitz zugeteilt bekommen. Dies bewirkt im Ergebnis in derartigen Fallkonstellationen eine bis zu doppelt so hohe Abweichung des Erfolgswerts der abgegebenen Wählerstimmen vom Durchschnittswert.

Ein solches Phänomen tritt aufgrund der angewendeten Sitzzuteilungsverfahren nach Sainte-Laguë (Divisorverfahren mit Standardrundung) bzw. Hare/Niemeyer (Quotenverfahren mit Restausgleich nach größten Bruchteilen) auf.[1] Ersteres bewirkt  eine Zuteilung auf den ersten Sitz ab einem Idealanspruch von rund 0,5 Sitzen, während bei dem Verfahren nach Hare/Niemeyer sogar eine Sitzzuteilung bei noch geringerem Sitzanspruch möglich ist.

Gleichwohl lässt sich mithilfe des Sitzzuteilungsverfahrens ein verfassungskonformer Weg finden, der dieses Problem weitgehend behebt, ohne eine systematische Bevorzugung größerer Parteien zu bewirken, wie dies bei dem Sitzzuteilungsverfahren nach d’Hondt (Divisorverfahren mit Abrundung) der Fall ist.

Bei dem vorgeschlagenen Verfahren handelt sich grundsätzlich um ein Quotenverfahren, so dass sichergestellt ist, dass jeder Partei einerseits mindestens der abgerundete und andererseits höchstens der aufgerundete Idealanspruch zugeteilt wird.[2]

2.Sitzzuteilung nach gängigem Quotenverfahren

Grundsätzlich lässt sich der Idealanspruch I einer Partei p als Multiplikation der Stimmanzahl der Partei p mit der Gremiengröße m dividiert durch die Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen berechnen.

In den allermeisten Fällen ergibt sich kein ganzzahliger Sitzanspruch. Da aber Bruchteile von Sitzen nicht sinnvollerweise vergeben werden können, muss eine Regelung zur Verteilung der Restsitze gefunden werden.

Nach dem Verfahren von Hare/Niemeyer werden die Restsitze nach den höchsten Stimmenbruchteilen vergeben. Es wird folglich der absolute Abstand zwischen Idealanspruch I und der tatsächlich vergebenen Sitzanzahl von Partei p minimiert.

Die Restsitzverteilung  ergibt sich demnach aus der jeweiligen Differenz zwischen Idealanspruch I und auf die nächste ganze Zahl abgerundeten Idealanspruch [I].

Dies soll anhand eines Beispiels verdeutlicht werden:

Für die Wahl eines Gremiums mit m=74 Sitzen treten die acht Parteien a – h an, wobei sich die Stimmverteilung wie folgt darstellt:

ParteiStimmenRelativer Stimmanteil
a7480144,2 %
b4556426,9 %
c1834110,8 %
d126717,5 %
e67304,0 %
f57393,4 %
g42442,5 %
h12420,7 %
INSGESAMT169332100%

Ohne Beachtung der Bruchteile werden somit für die Parteien folgende Sitze verteilt:

ParteiZugeteilte Sitze (ohne Beachtung der Bruchteile)
a32
b19
c8
d5
e2
f2
g1
h0
INSGESAMT69

Insgesamt werden also zunächst nur 69 von 74 Sitzen verteilt. Die Verteilung der restlichen fünf Sitze erfolgt nach dem Verfahren von Hare-Niemeyer anhand der höchsten (absoluten) Bruchteile, die sich in obigem Beispiel wie folgt bestimmen lassen:

Die restlichen fünf Sitze gehen an die Parteien mit dem höchsten absoluten Bruchteil. Dies trifft in diesem Beispiel auf die Parteien a, b, e, g und h zu.

Somit erhält Partei h ein Mandat zugeteilt, obwohl ihr Idealanspruch nur rund einen  halben Sitz beträgt.

An diesem Beispiel wird anhand von Partei h exemplarisch deutlich, dass das Hare-Niemeyer-Verfahren Kleinstparteien in Hinblick auf den Erfolgswert der Stimmen massiv bevorzugen kann. Auch das Verfahren nach Sainte-Laguë führt regelmäßig dazu, dass eine Partei mit einem Idealanspruch von rund einem halben Sitz ein ganzes Mandat erhält.

3. Sitzzuteilung nach Quotenverfahren mit prozentualem Restausgleich

Abhilfe hierzu kann jedoch folgendes alternative Verfahren schaffen, welches die faktische Sperrklausel etwas erhöht:

Jede Partei erhält zunächst, wie bei dem Verfahren nach Hare-Niemeyer, ihren  abgerundeten Idealanspruch. Allerdings erfolgt die Restsitzvergabe nicht anhand des höchsten Bruchwertes, sondern anhand des höchsten prozentualen Restes im Verhältnis zum jeweils nächsten Mandat.

Die Restsitzverteilung  ergibt sich also in diesem Verfahren aus dem Verhältnis zwischen dem Idealanspruch und des auf die nächste ganze Zahl aufgerundeten Idealanspruchs. Die Parteien mit dem höchsten prozentualen Rest erhalten dementsprechend die noch zu vergebenden Restsitze.

Diese Berechnung hat zur Folge, dass bezüglich der Verteilung der Restsitze der relative[3] Abstand und nicht mehr der absolute Abstand zwischen Idealanspruch und tatsächlichen Sitzen minimiert wird.

In diesem Fall würden die fünf Restsitze also an die Parteien a, b, d, e und g verteilt werden. Damit würde die Partei d einen Sitz gewinnen, während die die Partei h im Vergleich zu dem Verfahren nach Hare-Niemeyer ihren Sitz verlieren würde.

Zusammengefasst stellt sich die Sitzverteilung in diesem Beispiel wie folgt dar, wobei zu Illustrationszwecken auch die Sitzverteilungen mit aufgenommen werden, die sich nach den Verfahren nach d’Hondt bzw. Sainte-Laguë ergeben würden:

ParteiIdeal-anspruchAbgerundeter Ideal-anspruchHare-NiemeyerAlter-natives VerfahrenSainte-Laguëd‘Hondt
a32,6893233333234
b19,9121920202021
c8,01588888
d5,53755665
e2,94123333
f2,50822222
g1,85512221
h0,54301010
SUMME746974747474

Alternativ lässt sich dieses Sitzzuteilungsverfahren auch mittels prozentualen Aufrundungsgewinns berechnen. Dieser ergibt sich aus der Division des auf die nächste natürliche Zahl aufgerundeten Idealanspruchs durch den Idealanspruch, das Ganze subtrahiert um 1.

Anschließend erhalten die wahlbewerbenden Parteien mit dem geringsten Aufrundungsgewinn die zu verteilenden Restsitze.

Folglich werden auch hier die 5 zu verteilenden Restsitze an die Parteien a, b, d, e und g vergeben.

Die Verteilung der Restsitze nach größtem prozentualem Rest  kommt hierbei stets zu dem identischen Ergebnis wie die Verteilung nach geringstem prozentualem Aufrundungsgewinn.[4]


4. Zusammenfassung

Durch dieses Verfahren wird im Ergebnis die faktische Sperrklausel etwas erhöht und eine zu große Verzerrung zu Gunsten von Kleinstparteien vermieden, wie dies teilweise bei den Verfahren nach Sainte-Laguë und Hare/Niemeyer der Fall ist. Gleichzeitig wird durch die Erfüllung der Quotenbedingung sichergestellt, dass systematische Verzerrungen des Wahlergebnisses zu Gunsten großer Parteien nicht auftreten können, wie dies beispielweise bei dem Sitzzuteilungsverfahren nach d’Hondt der Fall ist, welches in Deutschland jahrzehntelang angewendet wurde und teilweise immer noch angewendet wird[5].


[1] Zur Kommunalwahl 2009 löste das Sainte-Laguë-Verfahren das Verfahren nach Hare/Niemeyer bei NRW-Kommunalwahlen ab.

[2] Dies ist beispielsweise bei dem Verfahren nach d’Hondt nicht sichergestellt.

[3]Bei der Frage des relativen Abstands muss natürlich der Grenzfall zwischen 0 und 1 Sitz vernachlässigt werden, da Divisionen durch 0 nicht sinnvoll möglich sind. 

[4] Tatsächlich käme auch eine Verteilung der Restsitze nach der jeweiligen Höchstzahl nach d’Hondt, für Partei A also mit der Höchstzahl 33, bei Partei B mit der Höchstzahl 20, bei Partei C mit der Höchstzahl 9 usw., zu einem identischen Ergebnis der Verteilung der Restsitze.

[5] Bei Landtagswahlen in Deutschland wird das Verfahren nach d’Hondt immer noch in den Bundesländern Niedersachsen, Sachsen und Saarland angewendet.

Das Verfahren ist inklusive formaler Notifikation auch in folgendem PDF nochmal beschrieben: