Den Kampf gegen Umsatzsteuerbetrug stärken

Antrag der Fraktionen von CDU und GRÜNE im Landtag

I. Ausgangslage

Neben international koordinierter Geldwäsche und organisierter Kriminalität in all ihren Facetten zählen vielschichtige Umsatzsteuerbetrugsmodelle zu den aktuellen Herausforderungen im Bereich der Finanzkriminalität.

Die Zukunftskoalition von CDU und GRÜNEN hat sich das Ziel gesetzt, die Position Nordrhein- Westfalens als bundesweiter Vorreiter im Kampf gegen Steuerkriminalität weiter auszubauen. Einen wichtigen Schritt zur Bündelung von Kompetenzen geht die Landesregierung aktuell mit der Gründung einer Landesbehörde zur Bekämpfung großer Fälle von Steuerkriminalität. Hierzu zählen auch große Umsatzsteuerbetrugsfälle durch die Integration der Zentralstelle zur Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung (ZEUS).

Durch Umsatzsteuerbetrugsmodelle entstehen nicht nur erhebliche Steuerausfälle, sondern auch massive Wettbewerbsnachteile für steuerehrliche Unternehmen. Intensive Bemühungen, Umsatzsteuerbetrugsmodellen wie Umsatzsteuerkarusselle oder Kettenbetrugsformen in Nordrhein-Westfalen entgegenzutreten, konnten in den vergangenen Jahren bereits zu Erfolgen führen. Umsatzsteuerbetrugsmodelle entwickeln sich jedoch stets weiter und nutzen vorhandene Regelungslücken aus, sodass ein permanentes Hase-und-Igel-Spiel zwischen Kriminellen und den zuständigen Behörden zu beobachten ist. Dies wurde auch in einem Bericht des Bundesrechnungshofs aus dem Jahr 2020 festgestellt, der insbesondere digitale Maßnahmen zur verbesserten Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs anregt.

Ein wichtiges Instrument der Finanzverwaltung gegen Umsatzsteuerbetrug ist die Umsatz- steuer-Nachschau. Bei dieser Ermittlungsmethode werden ohne Ankündigung Betriebssitze aufgesucht und das Bestehen des Unternehmens sowie einzelne Sachverhalte durch die Sichtung von Unterlagen vor Ort überprüft. Die Qualität der Umsatzsteuer-Nachschau als Instrument der Betrugsbekämpfung hängt wesentlich von der Auswahl der betrachteten Sachverhalte und Unternehmen ab. Parameter für eine effektive und risikoorientierte Fallauswahl können den bisherigen Erfahrungen der Finanzverwaltung in Umsatzsteuerbetrugsverfahren entnommen werden. Dies können unter anderem Auffälligkeiten in Aufbau, Organisation und Auf- treten eines Unternehmens, der Preisgestaltung, aber auch Auffälligkeiten in der administrativen und buchhalterischen Abwicklung sein. Ferner sind Hinweise von anderen Behörden genau so zu beachten wie Hinweise auf ungewöhnliche Zahlungsverkehre aus Datenanalysen.

Abgesehen vom Ermittlungsdruck, den Finanzbehörden ausüben können, ist die Zusammenarbeit mit steuerehrlichen Unternehmen ein entscheidender Faktor im Kampf gegen Umsatzsteuerbetrug. Unternehmen werden von den Finanzämtern dazu ermutigt, besonderes Augen- merk auf ungewöhnliche Geschäftsverhältnisse zu legen, wie beispielsweise auffällige Fakturierungen, Zahlungen und Warenbewegungen.

Neben der Umsatzsteuer-Nachschau ist das sogenannte Reverse-Charge-Verfahren ein effektives Instrument gegen Umsatzsteuerbetrug bei gleichzeitigem Bürokratieabbau. In diesem Verfahren wird durch die Zusammenführung von Steuerschuld und Erstattungsanspruch in einer Hand eine betrügerische Nichtzahlung der Umsatzsteuer verhindert. Zuletzt wurde der Anwendungsbereich des Verfahrens mit dem Jahressteuergesetz 2022 erweitert. Eine weitere Ausdehnung steht bereits im Raum: Die Europäische Union (EU) schlägt im Zuge des Paketes

„VAT in the Digital Age“ (ViDA) eine Ausdehnung des Reverse-Charge-Verfahrens auf sämtliche in anderen Mitgliedstaaten zu besteuernde Umsätze zwischen Unternehmern vor. Ferner sieht der Reformvorschlag der EU vor, für ähnliche Sachverhalte bei Leistungen an Nichtunternehmer das etablierte Verfahren des One-Stop-Shops (OSS) zu erweitern. Für inländische Unternehmer können dadurch bisher im europäischen Ausland bestehende Erklärungspflichten wegfallen, die nun gegenüber einer deutschen Behörde bürokratiearm erfüllt werden können, wodurch Steuerausfälle durch unterbliebene Registrierungen der im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmern bei den Finanzämtern vermindert werden. Die nordrhein-westfälische Finanzverwaltung wird sich an einen Ausbau der Reserve-Charge-Verfahren anpassen müssen und auf der Grundlage der erweiterten Berichtspflichten der Unternehmen ihrerseits einen Ausbau der Online-Analysen im Sinne eines Datamining der dann digital nachvollziehbaren Lieferketten vornehmen.

Der konstante Anstieg von Warenverkäufen über das Internet macht eine zukunftsgerichtete Sicherung der Umsatzbesteuerung von Online-Geschäften unumgänglich. Sowohl die nationale Haftungsregelung für Online-Plattformen als auch die unionsrechtlichen Normen des Digitalpakets setzen wichtige Leitplanken in diesem Sinne. Mit den ab dem 1.1.2024 geltenden Pflichten für Zahlungsdienstleister zur Aufzeichnung bestimmter grenzüberschreitender Zahlungen („CESOP“) sollen vor allem digitale Dienstleistungsangebote (z. B. Streaming) für die Finanzverwaltung nachvollziehbar werden. Darüber hinaus schlägt die EU ebenfalls im Rahmen des Paketes „VAT in the Digital Age“ (ViDA) eine weitere Ausdehnung der Regelungen des Digitalpakets auf sämtliche Warenverkäufe sowie ausgewählte Dienstleistungen (Personenbeförderung „uber“ und kurzfristige Beherbergung „airbnb“) vor. Die nordrhein-westfälische Finanzverwaltung muss in diesem Sinne mit einer guten technischen Ausstattung und geeigneten organisatorischen Verfahren sowie speziell geschulten Mitarbeitenden in die Lage versetzt werden, eingehende Daten in großen Mengen auszuwerten und fachlich qualifiziert zu bewerten.

Als weiteren Aspekt sieht der Reformvorschlag der EU „VAT in the Digital Age“ (ViDA) für innergemeinschaftliche Sachverhalte eine elektronische Rechnung zwischen Unternehmern mit transaktionsbasiertem Meldesystem in Echtzeit an die Finanzverwaltung vor. Die Bundesregierung beabsichtigt mit der Unterstützung der Länder, diesen Vorschlag auch auf inländische Leistungen zwischen Unternehmern auszudehnen. Diese Ausweitung wird der Bürokratievereinfachung sowie der Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung dienen und ist aus nordrhein- westfälischer Sicht zu unterstützen. Damit die Reform nicht zu einem hohen Mehraufwand für Unternehmen führt, sollten das System der EU und die nationale Ausgestaltung möglichst deckungsgleich sein. Der Nutzen für die Betrugsbekämpfung besteht in dem Umfang und der Zeitnähe der Information, die sowohl bei nationalen wie grenzüberschreitenden Sachverhalten gegenwärtig nicht vorliegen und zeitaufwendig ermittelt werden müssen. Ferner steht mit der

Umsetzung des Vorschlags eine Datengrundlage zur Verfügung, die mit modernen Datenanalysemethoden zielgerichtet auf etwaige Verdachtsfälle untersucht werden können.

Die im Rahmen von Maßnahmen zur Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug gewonnenen Erkenntnisse sind nicht allein auf den Bereich der Umsatzsteuerkontrolle beschränkt. Vielmehr können diese Erkenntnisse auch dazu dienen, andere Formen der Kriminalitätsbekämpfung zu unterstützen, wie etwa illegale Beschäftigung, Geldwäscheaktivitäten und weitere Delikte. Die gewonnen Informationen können wertvolle Hinweise auf potenziell rechtswidrige Aktivitäten liefern. Eine enge Zusammenarbeit und Informationsaustausch innerhalb und zwischen Behörden ist dabei von entscheidender Bedeutung. Durch die Gründung einer Landesbehörde zur Bekämpfung großer Fälle von Finanz- und Steuerkriminalität wird Nordrhein-Westfalen sicherstellen, dass die gewonnenen Erkenntnisse bestmöglich genutzt werden.

II. Beschlussfassung

Der Landtag stellt fest:

  • Die Umsatzsteuer-Nachschau ist ein relevantes Instrument im Kampf gegen Umsatzsteuerbetrug. Sie dient neben der Aufklärung konkreter steuerrechtlicher Sachverhalte weiteren Zwecken. So kann durch das Instrument die Tax-Compliance (Steuerehrlichkeit) in den Betrieben gesteigert und das betriebliche Risikomanagement für Betrugsmuster in der jeweiligen Branche sensibilisiert Ferner können Erkenntnisse der Finanzbehörden aus der Umsatzsteuer-Nachschau auch für die Prüfung weiterer Steuerarten genutzt werden. Sie ist somit ein geeignetes Instrument der örtlichen Finanzämter, die Entwicklungen in der regionalen Wirtschaft zu überwachen und wenn nötig zu reagieren.
  • Der Landtag unterstützt den Reformvorschlag der EU zum Paket „VAT in the Digital Age“ und einen hieraus resultierenden Ausbau des Reverse-Charge-Verfahrens auch in der nordrhein-westfälischen Besteuerungspraxis.
  • Der Reformvorschlag der EU zum Paket „VAT in the Digital Age“ wird neue Möglichkeiten schaffen, durch Online-Analysen Lieferketten digital Die dabei gewonnenen Erkenntnisse lassen sich nicht nur zur Umsatzsteuer-Betrugsbekämpfung, sondern auch zur Bekämpfung von Geldwäscheaktivitäten und illegaler Beschäftigung nutzen.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung, aus vorhandenen Mitteln,

  • die Umsatzsteuer-Nachschau als effektives Mittel für eine zielgerichtete Umsatzsteuer- Betrugsbekämpfung weiterzuentwickeln und dabei insbesondere zielgerichtete und risikoorientierte Parameter zur Fallauswahl in den Blick zu nehmen.
  • die Mitarbeitenden der Finanzverwaltung laufend für aktuelle Parameter der Fallauswahl zur Umsatzsteuer-Nachschau sowie zur Identifikation von möglichen Umsatzsteuerbetrugsfällen zu sensibilisieren und entsprechend fortzubilden.
  • den Reformvorschlag der EU zum Paket „VAT in the Digital Age“ zu unterstützen und den Ausbau des Reverse-Charge-Verfahrens in der Finanzverwaltung zielgerichtet vor- zubereiten. Hierbei ist insbesondere ein Ausbau von Online-Analysen durch veränderte Prozesse und die Schulung der Beschäftigen in der Finanzverwaltung in den Blick zu
  • sich gegenüber dem Bund dafür einzusetzen, dass die Sicherung des Steueraufkommens der Umsatzsteuer bei Geschäften im Internet verbessert und diese aufgrund der Dynamik des Wirtschaftszweigs zukunftsgerichtet ausgestaltet wird.
  • Im Schulterschluss mit dem Bund und den anderen Bundesländern die Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung im Internet zu intensivieren und insbesondere eine systematische Suche nach Internetadressen vorzusehen sowie Kontrollmechanismen bei Social-Me- dia-Akteuren zu verbessern.
  • sich auf Bundesebene für die Umsetzung eines effektiven elektronischen Rechnungsclearings zur Verbesserung der Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung und schnelleren Identifikation von Verdachtsfällen einzusetzen und bei der Einführung dieses Vorhabens die Belange der vielen redlichen Unternehmer in Nordrhein-Westfalen zu berücksichtigen.